Architektourist

Der Podcast für Architektur, Bautechnik und Baukultur - von und mit Alexandra Busch.

#48 Plan.Stimme – Christian Rosenkranz, Fast+Epp Darmstadt

Leichtigkeit erhalten: Tragwerksplanung für die Multihalle Mannheim

04.09.2025 23 min

Zusammenfassung & Show Notes

Die Multihalle Mannheim ist ein Meisterwerk des Leichtbaus, entworfen von Frei Otto und Carlfried Mutschler, gebaut für die Bundesgartenschau 1975. Ihr Dach gilt bis heute als weltweit größte frei geformte Holzgitterschale. Doch was passiert, wenn sich ein solches Bauwerk über Jahrzehnte setzt, wenn Feuchtigkeit eindringt, die Form sich verändert und der Bestandsschutz fehlt?

In dieser Folge von Plan.Stimme spreche ich mit Christian Rosenkranz, Tragwerksplaner und Teamleiter bei Fast+Epp in Darmstadt. Er begleitet die Sanierung der Multihalle seit den ersten Studien mit technischer Präzision und einem tiefen Verständnis für den Charakter dieses außergewöhnlichen Bauwerks. Wie lassen sich Schäden reparieren, ohne das Ganze zu verfälschen? Wie helfen digitale Modelle bei der Instandsetzung? Und warum braucht ein Tragwerk ein Nutzungskonzept? Diese Folge gibt Einblicke in ein Sanierungsprojekt, das so komplex wie inspirierend ist und zeigt, wie Ingenieurbau heute mit Respekt, Verantwortung und Experimentierfreude betrieben wird.

Einblicke in diese Episode:
  • Die statische Herausforderung eines temporären Bauwerks ohne Bestandsschutz
  • Digitale Modellierung und Vergleich des Ist- mit dem Soll-Zustand
  • Entwicklung eines minimalinvasiven Sanierungskonzepts mit Testflächen
  • Die Rolle der Tragwerksplanung im Zusammenspiel mit Nutzung und Architektur
  • Verantwortung und Leidenschaft im Umgang mit einem Kulturbau

Der Podcast:
Architektourist bietet eine Hörreise durch unsere gebaute Umwelt. In jeder Episode nehmen wir Euch mit in die Welt der Architektur und Baustoffe, erkunden kreative Anwendungen und tauchen ein in die Geschichten hinter den Bauprojekten – von der ersten Skizze bis zur fertigen Umsetzung.

Seid bei der nächsten Folge wieder dabei, wenn wir weitere spannende Projekte und Persönlichkeiten aus der Welt des Bauens vorstellen. Wenn Euch die Episode gefallen hat, abonniert Architektourist bei Eurem bevorzugten Podcast-Anbieter.

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Transkript

Du hörst Planstimme, ein Format von Architektourist. Hier geht es um die Menschen hinter den Plänen, ihre Haltung, ihre Arbeitsweise und ihre Gedanken zum Bauen von morgen. In dieser Episode Leichtigkeit erhalten, Tragwerksplanung für die Multihalle Mannheim. Christian Rosenkranz, leitender Ingenieur bei Fast + Epp in Darmstadt, über Sanierung, Verantwortung und das Weiterdenken einer Ikone des Leichtbaus. Die Multihalle in Mannheim, eine Konstruktion wie eine gefrorene Welle, ein Gitternetz aus Holz, das sich selbst trägt. Geplant in den 1970er Jahren von Karlfried Mutschler und Frei Otto Gebaut als temporäres Bauwerk für die Bundesgartenschau 1975 und heute ein Kulturdenkmal von internationaler Bedeutung Die Multihalle ist das größte, freigeformte Holzgitterschalentragwerk der Welt Ein Hauptwerk der organischen Architektur, stilprägend für den Leichtbau und ein analoger Vorläufer digitaler Entwurfsmethoden, wie wir sie heute aus der parametrischen Architektur kennen. Wie die Multihalle entstanden ist, davon habe ich in der letzten Folge erzählt. Heute geht es um das Danach. Wie lässt sich ein solches Bauwerk sanft bewahren und weiterentwickeln? Denn so leicht diese Struktur wirkt, so anspruchsvoll ist es, sie in die Zukunft zu bringen. Wie diagnostiziert man ein Gitternetz aus tausenden Latten, das sich über Jahrzehnte gesenkt hat? Wie ergänzt man einzelne Hölzer, ohne den Charakter des Ganzen zu zerstören? Und wie funktioniert eigentlich eine Probebelastung mit Mülltonnen? Darüber spreche ich mit Christian Rosenkranz, Fachingenieur und Teamleiter für Forschung und Entwicklung bei Fast + Epp in Darmstadt. Er begleitet das Projekt seit vielen Jahren, von den ersten Machbarkeitsstudien bis zur laufenden Umsetzung. Fast + Epp wurde bereits 2014 von der Stadt Mannheim beauftragt, ein Sanierungskonzept für das einzigartige Holzdach zu entwickeln und die Tragwerksplanung zu übernehmen mit dem Ziel, das Bauwerk denkmalgerecht zu ertüchtigen und seine Originalität möglichst zu bewahren. Christian Rosenkranz ist eine der treibenden Kräfte hinter diesem Prozess. Er denkt die Struktur weiter, technisch, konstruktiv und im Sinne der Denkmalpflege. Und er ist einer der wichtigsten Ansprechpartner, wenn es um wissenschaftliche und planerische Fragen zum Multihalle geht. Sein Engagement für das Projekt hat aber auch mit etwas zu tun, das über Zahlen, Normen und Konstruktion hinausgeht, nämlich mit einer Begeisterung für das, was Bauen bewirken kann. Als Ingenieur begeistert mich, dass Bauwerke entstehen, wo man auch sieht, dass man was erschaffen hat, aber auch hinterher die Rückmeldung von Nutzern bekommt, wenn das Bauwerk angenommen wird und man dann einen Mehrwert auch für die Gesellschaft geschafft hat. Und das natürlich nicht nur bei Kulturdenkmälern wie der Multihalle, sondern auch bei anderen Projekten. Wir machen bei uns bei Fast + Epp sehr viel für die öffentliche Hand, Schulen, Kindergärten, Sporthallen. Das andere, was mich auch als Ingenieur fasziniert, ist der nachhaltige Baustoff Holz. Also dort auch ein Zeichen für die Nachhaltigkeit setzen zu können bei unseren Projekten. Das ist mir sehr wichtig. Ich kannte das Projekt schon. Es ist ja etwas, was in der Fachwelt sehr bekannt ist. Und auch im Studium hatten wir da schon ein, zwei Bilder gesehen. Und im Studium hätte ich nie gedacht, dass ich da mal später an diesem Bauwerk irgendwie dran arbeiten könnte. Und dann war es aber so, dass unser Büro dieses Projekt bekommen hatte und ich schon auch gleich zum Einstieg in das Projekt involviert wurde. Damals bin ich in die Leistungsphase 3 eingestiegen, hatte das Projekt von meinem Kollegen übernommen, der die Leistungsphase 2 noch gemacht hatte. Und ja, fand es von Anfang an sehr spannend. Hatte einen gewissen Grundstock, dadurch, dass eben vor mir schon jemand anderes dran gearbeitet hatte und habe mich dann eingearbeitet. Also was dann an Aufgaben auf einen zukommt, Modellierung zum Beispiel, Das ist bei diesem Bauwerk alles nicht so einfach, aber da liebe ich die Herausforderung, weil das wirklich etwas ist, was eben kein 0815-quadratisch-rechteckiges Bauwerk ist, sondern man wirklich hier viel ausprobieren kann im Gegensatz zu anderen Projekten. Die Multihalle ist kein normales Bauwerk und ihre Sanierung ist kein gewöhnliches Projekt. Als die Stadt Mannheim 2014 ein Ingenieurbüro für die Tragwerksplanung suchte, entschied sie sich für Fast + Epp, ein international tätiges Büro mit Sitz in Darmstadt, spezialisiert auf Holz- und Hybridkonstruktionen. Fast + Epp steht für kreative, aber praktikable Lösungen, für Schlichtheit im Entwurf und für ein feines Gespür für die Besonderheiten eines Tragwerks. Wer sich mit der Multihalte beschäftigt, merkt schnell, hier reicht kein Standardnachweis. Das Bauwerk war gealtert, die Dachhaut undicht, die Schale hatte sich abgesenkt. Die Frage lautete, wie lässt sich ein solches Experimentalbauwerk ertüchtigen, ohne seine Leichtigkeit zu verlieren? Fast + Epp lieferte ein Konzept, das möglichst nah am Original bleibt und Eingriffe auf das wirklich Notwendige beschränkt. Doch bevor überhaupt geplant werden konnte, musste die Ausgangslage neu vermessen, verglichen und verstanden werden. Denn die Multihalle war ursprünglich nur temporär genehmigt, mit immer wieder befristeten Freigaben über jeweils zehn Jahre. Als sich in den 1990er Jahren deutliche Verformungen zeigten, war klar, ohne eine neue statische Bewertung würde es keine dauerhafte Genehmigung geben. Die Multihalle in Mannheim war damals zur Bundesgartenschau 1975 gebaut worden und wurde als temporäres Bauwerk konzipiert. Aber auch damals hatte man sich schon überlegt, dass man die Halle nachnutzen wollte und es gab dann immer eine auf zehn Jahre befristete Baugenehmigung, die sukzessive verlängert wurde bis in die 90er Jahre. Dann haben sich große Verformungen am Dachtragwerk gezeigt und die Bauaufsicht hat daher die Verlängerung der Baugenehmigung infrage gestellt und die Auflage erteilt, dass erstmal eine neue Statik erstellt werden muss für ein dauerhaftes Bauwerk, wo dann auch entsprechend die Verformungen behandelt werden. Dann gab es erst kleine Machbarkeitsstudien, wie man weiter vorgehen sollte und es war dann eben klar, dass eine Schau-Statik erstellt werden muss und diese hat dann die Stadt Mannheim ausgeschrieben. Den Auftrag haben wir dann bekommen, um die weitere Sanierung zu planen und eine Statik eben nach den heutigen Anforderungen zu erstellen, um eine dauerhafte Baugenehmigung zu erwirken. Wir hatten tatsächlich alte Pläne. Wir haben die Prüfstatik von damals. Interessant ist, dass das in Deutsch und Englisch vorliegt, weil damals Arup aus London die Statik gemacht haben. Die wurde dann hier in Deutschland geprüft. Da habe ich mich auch intensiv eingearbeitet und finde das spannend, wie man damals herangegangen ist, auch wie es damals berechnet wurde. Auch damals hatte man schon Computer. Die haben aber ganze Räume gefüllt, um das Tragwerk zu berechnen. Allerdings musste man da sehr viel vereinfachen, damit die Rechenleistung überhaupt ausgereicht hat. Wir haben die Halle neu vermessen lassen und dann zu den damaligen Modellen ein Vergleichsmodell jetzt mit der heutigen Hallenstruktur gemacht. Die Halle hat starke Verformungen und deswegen wollten wir das auch gleich zu Beginn gegenüberstellen. Dann ist es natürlich auch spannend, wie stellt man heute so ein Modell auf? Welche Vereinfachungen sollte man immer noch treffen? Denn auch heute kann man mit selbst den Rechenleistungen von heute an Grenzen kommen. Und zum anderen muss man sich als Ingenieur natürlich auch immer überlegen, wie sinnvoll sollte man jetzt ins Detail gehen und wo macht man dann eine vermeintlich hohe Genauigkeit, die aber eigentlich keine Genauigkeit ist, weil man die Realität niemals so genau im Modell darstellen kann. Als Fast + Epp die Multihalle übernahm, sah man schnell, das eigentliche Problem war nicht das Material, sondern die Form. Die Halle hatte sich über die Jahrzehnte verändert, fast unmerklich Jahr für Jahr. In der großen Halle war das Dach an einigen Stellen um bis zu 70 cm abgesackt, am Eingang sogar um einen ganzen Meter. Und damit geriet das Prinzip ins Wanken, auf dem das Bauwerk überhaupt funktioniert. Eine Schale, die durch ihre ideale Form alle Kräfte in Druck ableitet. Je stärker die Verformung, desto weniger stimmte dieses Gleichgewicht. Und desto schwieriger wurde es, das Tragwerk ohne zusätzliche Eingriffe zu erhalten. Das Holz selbst erzählte dagegen eine andere Geschichte. Die Gitterstruktur aus Latten war erstaunlich gut in Schuss, nur an einzelnen Stellen zeigten sich Schäden. Anders sah es an den Rändern aus. Hier hatten sich durch die alte Membran Feuchtigkeit und Fäulnis eingenistet. Ein Detail, das den Wasserlauf nicht konsequent abführte, hatte über Jahrzehnte still und leise ganze Querschnitte geschwächt. Die Membran war ohnehin überfällig. Seit 40 Jahren spannte sie sich über das Dach bei einer Lebensdauer von rund 25 Jahren. Undichte Stellen, Kondenswasser, Schäden an den Anschlüssen, es war klar, dass sie ersetzt werden musste. Die Aufgabe für Fast + Epp lautete also, sanieren ohne zu verfälschen. So viel Originalsubstanz wie möglich bewahren, so wenig wie nötig ersetzen. Die neue Membran wird wieder aus PVC sein, aber ergänzt um Details, die Wasser abführen und die Ränder schützen. Und einige der einst transparenten Fensterflächen werden zurückkehren, sodass die Halle wieder mehr Licht- und Sichtbeziehungen in den Park erhält. Auch das Tragwerk wird nicht grundlegend verändert, vielmehr an ausgewählten Stellen präzise ergänzt. Ursprünglich stand die Idee im Raum, eine komplette zweite Lattenlage unterzulegen, doch im Laufe der Planungen entstand ein differenzierteres Konzept. Digitale Modelle halfen dabei, die Struktur genau zu analysieren und zu erkennen, wo Verstärkungen wirklich gebraucht werden und wo nicht. Das Ergebnis ist ein Muster aus Verstärkungsbändern, das so wenig zusätzliches Material wie möglich einbringt, aber genau dort Stabilität schafft, wo die Schale sie heute braucht. Also am Anfang sind wir gestartet, haben die FE-Modelle erstellt, haben verglichen den Ist-Zustand von heute mit dem Soll-Zustand, wie es damals gebaut werden sollte. Leider muss man auch sagen, dass von direkt nach dem Bau keine Vermessungsdaten vorliegen, was man es damals nicht gemacht hat. Insofern haben wir es immer nur mit den theoretischen Werten aus der Planung vergleichen können. Und am Anfang war natürlich die Frage, die Multihalle ist ja ein Ingenieurbauwerk und deswegen auch die Rolle, dass wir als Ingenieure da als Erste eingestiegen sind. Und da war natürlich die Frage, wie saniert man das am besten, welche Maßnahmen sind denn tatsächlich notwendig. Das hat auch viele Rückmeldungen aus der Fachwelt gegeben mit unterschiedlichsten Meinungen. Wir mussten uns auch auf der Kritik stellen, wenn wir gesagt haben, ja, wir wollen da eine zusätzliche Lattenlage einziehen. Und dann gab es die Meinung, ja, eigentlich gibt es da ja nur ein paar lokale Schäden, die muss man dann reparieren. Was soll man da das große Fass aufmachen? Oder die steht ja jetzt eigentlich schon einige Jahrzehnte her, drückt man ein bisschen wieder nach oben und dann wird das schon. Also es war tatsächlich am Anfang nötig, auch das Sanierungskonzept zu verteidigen. Später dann, als nach der Finanzierung die Planung wieder aufgenommen wird, hatten wir durch die Wüstenroth-Stiftung nochmal eine sehr schöne Gelegenheit bekommen, die einzelnen Tätigkeiten zur Sanierung in einer probeweisen Instandsetzung vorab zu testen. Wir hatten drei Testflächen dann an der Multihalle eingerichtet. Wo wir zum einen das Hochdrücken getestet haben. Also kann man tatsächlich hartfrei das Gitter wieder in die Ausgangslage zurückdrücken. Hatten dann auch ein Monitoring. Wie dauerhaft ist das dann? Wie weit kommt es wieder nach unten? Das haben wir dann über ein Jahr beobachtet. Zum anderen haben wir an einer anderen Fläche ausprobiert, wie funktioniert eigentlich die Schadensreparatur und wie kann man zusätzliche Latten anbringen und wie sieht das dann auch aus? Also wie sieht das optisch aus, wenn dann eine neue Lattenlage in der frischeren Holzfarbe unten drunter liegt? Und das dritte, was wir getestet haben, war einen Randträger zu ersetzen und dort auch ein neues Membrandetail zu testen, um dann einmal zu sehen, wie befestigt man die Membran, wie kann man auch die Träger in sich steifer machen durch Schubblöcke im Inneren, dass die Verformung, die in der Vergangenheit auch bei den Randträgern aufgetreten sind, in Zukunft vermieden werden könnte. Zum einen war es schon relativ am Anfang des Projektes, dass wir auch eine Probebelastung der Halle durchgeführt haben, einfach um die Steifigkeit des Modells auch zu überprüfen. Wir haben ja ein Doppelgitter, also eigentlich einen zusammengesetzten Querschnitt aus zwei Einzellatten. Das haben wir mit dem Gamma-Verfahren modelliert und dann ist ja immer die Frage, wie groß ist jetzt der Verbund zwischen den Einzellagen? Da konnten wir verschiedene Annahmen treffen, aber die wollten wir auch bestätigt haben und so haben wir eine Probebelastung gemacht und haben daran die Gamma-Werte dann nochmal bestätigen können. Im Übrigen haben wir das ganz ähnlich gemacht, wie es damals zum Bau der Halle auch gemacht wurde. Das war damals eine Anregung des Prüfingenieurs, dass man eine Probebelastung macht. Damals hat man sich auch gefragt, wie kann man jetzt die Berechnung überprüfen? Kann man das wirklich anhand einer Vergleichsrechnung? Geht das überhaupt wirtschaftlich? Weil ja überhaupt für die eigentliche Berechnung damals ganze Räume an Computern verwendet wurden. So hat man damals eben Mülltonnen am Hallendach aufgehängt, die mit Wasser befüllt, bis zu einer vorgegebenen Höhe und die Verformungen des Dachs gemessen und das mit den vorausberechneten Verformungen verglichen. Und hat damals gesehen, das stimmt gut überein. Und ganz ähnlich haben wir das heute auch gemacht, haben den Stadtpark gebeten, mal zu gucken, ob sie noch Mülltonnen haben, die zur Verfügung stehen können, haben die ans Dach gehängt und dann mit Verformungsmessgeräten genau nach dem Einfüllen die Verformungen gemessen. Manchmal muss man das Rad nicht neu erfinden. Die Methoden von damals sind dann noch sehr gut geeignet, auch heute die Annahmen nochmals zu überprüfen, damit man dann sicher ist, dass das Modell auch funktioniert. Und das, was wir jetzt bei den Testflächen gemacht haben, da ging es dann hauptsächlich auch um die baupraktische Umsetzung. Aber natürlich können wir jetzt Modell ermitteln, welchen Bedarf das Dach hat, wo Steifigkeiten fehlen. Wir können uns auch ausdenken, wie jetzt Reparaturdetails aussehen können, können das nachweisen. Aber kriegt man dann die zusätzlichen Hölzer überhaupt eingebaut? Eingebaut, welche Hindernisse bestehen. Da gibt es irgendwie Bereiche, wo man nicht gut drankommt. All das sind Fragen, die man eigentlich nur komplett beantworten kann, wenn man mal ins Doing kommt und das vor Ort auch überprüft. Also das Ziel war mit den Testflächen auch dann eine Ausschreibung am Ende machen zu können, wo man dann guten Gewissens ein Sanierungskonzept einem Holzbauer vorlegen kann und sagen kann, Das haben wir getestet, das funktioniert so, ihr könnt darauf bieten und habt auch eine Grundlage, das abzuschätzen, was ihr dann auch anbieten könnt. Bei der Multihalle war vieles anders als gewohnt. Normalerweise entwickelt ein Architekturbüro die ersten Ideen und ruft dann die Tragwerksplanerinnen und Planer dazu, um die Konstruktion passend zu machen. Hier lief es genau umgekehrt. Fast & Epp war von Anfang an am Zug, mit dem Ziel, das Tragwerk zu analysieren und Perspektiven für seinen Erhalt zu entwickeln. Und sehr schnell wurde klar, eine Sanierung ohne Konzept für die spätere Nutzung würde weder Sinn machen noch finanzierbar sein. Die Fragen nach Brandschutz, nach Raumprogramm, nach Kosten, sie hingen direkt mit der Ertragsstruktur zusammen. Tatsächlich ist der Brandschutz ein wichtiges Thema, weil nämlich unter anderem durch den Brandschutz auch klar wurde, dass ohne, dass man weiß, wie die Multihalle zukünftig genutzt wird, kein entsprechendes Konzept vorlegen kann. Als wir das Projekt eingestiegen sind, waren wir nur als Tragwerksplaner beauftragt und es gab keine anderen Fachplaner, die sich mit der Sanierung beschäftigt haben. Und wir haben aber von Anfang an darauf hingewirkt, dass es eben noch mehr Fachplaner braucht und dass es auch Architekten braucht. Denn nur ein Kulturdenkmal zu sanieren, ohne dass es in irgendeiner Form genutzt wird, ist ja am Ende auch nicht vermittelbar, weil dem ja auch große Kosten entgegenstehen. Also war für uns von Anfang an auch wichtig, dass es eine Nutzung geben wird und im Laufe der Projektzeit konnten wir dann, nachdem dann auch erstmal Fragen der Finanzierung geklärt waren, darauf hinwirken, dass es dann später einen Architektenwettbewerb gab, wo dann ein Entwurf ausgewählt wurde für die zukünftige Nutzung und dass dann auch weitere Fachplaner zum Projekt hinzugenommen wurden. Wir verstehen uns als Tragwerksplaner und nicht nur als Statiker. Also wir sind nicht nur berechnend unterwegs, sondern natürlich gehört es zu unserer Aufgabe, auch rund um die Tragwirkung der Gebäude zu beraten und auch für den Planungsablauf zu beraten. Da haben wir bei Fast & Epp auch einen gestalterischen Anspruch. Gerade bei der Multihalle ist ja die Gestaltung auch eine zentrale Rolle. Wir haben hier nochmal insgesamt eine besondere Rolle gehabt, weil wir eben als erste Fachplaner am Anfang an dieses Projekt dazukamen. Nicht wie es sonst bei anderen Projekten ist, wo es schon einen Architekten gab. Und insofern hatten wir von Anfang an diese besondere Rolle, die häufig dann der Architekt übernimmt, dass er andere Fachplaner vorschlägt, hatten wir dann am Anfang. Die Multihalle sollte nicht nur saniert werden, sie sollte auch wieder ein lebendiger Ort werden. Fast & Epp hat deshalb von Anfang an deutlich gemacht, ohne ein Nutzungskonzept macht die Sanierung keinen Sinn. Denn ein Bauwerk wie dieses lebt nicht von Statik allein, es lebt davon, dass es gebraucht wird, dass Menschen sich darin bewegen, dass es Teil des Alltags wird. Die Frage war also, welche Nutzung passt zu einer Halle, die wie keine andere auf Leichtigkeit, Offenheit und Experiment setzt. In Workshops mit der Stadt Mannheim, der Architektenkammer und vielen weiteren Akteuren wurde darüber diskutiert. Aber nicht nach dem Motto, wie pressen wir eine beliebige Nutzung in diese Hülle, sondern welche Nutzung entsteht aus der Halle selbst, aus ihrer Form, ihrem Raum, ihrer besonderen Lage im Park? Herausgekommen ist ein Konzept, das die Multihalle als Kreativ- und Sportzentrum versteht, als Ort für Bewegung, für Kultur, für Begegnung im Stadtteil. Der Außenraum soll einbezogen werden. Unter dem Dach entstehen offene Zonen für Sport und Zuschauer, flexible Orte, die sich immer wieder neu bespielen lassen. Also ich mag an der Multihalle, dass sie sehr spielerisch ist. Es gibt sehr viele Details, vor allem auch bei den Auflagerpunkten am Rand. Also teilweise ist das Holzgitter, liegt das auf einem Streifenfundament auf, wo ein Randbrett und Stahlärmchen dann die Kraft ans Betonfundament übertragen wird. Teilweise gibt es Randträger aus Brettschichtholz und Fischbauchform. Dann gibt es über den Eingängen Bögen aus Brettsperrholz und in der kleinen Halle gibt es dann noch einen seilgestützten Rand. Also etwas, was Frey Otto damals auch sehr wichtig war, mit Details zu experimentieren und die Bandbreite von allem, was möglich ist, auch mal auszutesten. Das andere, was mich architektonisch an der Halle begeistert, ist, dass sie in die Hügellandschaft sehr gut eingebettet ist. Und das ist auch die ursprüngliche Idee von Karlfried Mutschler gewesen. Die Sanierung der Multihalle ist kein Projekt, das sich einfach linear abarbeiten lässt. Sie verläuft in Etappen, mit Zwischenschritten, Rückfragen, Prüfungen und immer wieder mit neuen Erkenntnissen. Aktuell ruht die filigrane Holzschale auf einem Raumgerüst. Ein engmaschiges Raster aus Sprießen stützt die Konstruktion von unten, damit das Dach vorsichtig angehoben werden kann. Die Bolzen an den Knotenpunkten werden gelöst, damit sich das Gitternetz zurück in die stabile Form bringen lässt. Erst dann werden die Verbindungen wieder befestigt, Schäden repariert, Verstärkungen eingebaut. Im kommenden Jahr soll auch die Membran ersetzt werden. Parallel werden Stützen und Fundamente saniert, einige arbeiten, etwa an den Oberflächen, können aber erst nach dem Rückbau des Raumgerüsts erfolgen. Die kleine Halle muss noch warten, die Finanzierung reicht derzeit nicht aus. Aber die große Halle soll bis Ende 2027 wieder nutzbar sein. Für Veranstaltungen, für den Stadtteil, für eine neue Zukunft. Dass mich die Multihalle beeindruckt, hast Du sicher gemerkt. Aber genauso beeindruckt hat mich die Hingabe, mit der Christian Rosenkranz und das Team von Fast + Epp an diesem Bauwerk arbeiten. Ihre Methoden sind präzise und experimentell zugleich. Sie denken weiter, beraten, justieren, mit klarem Blick für das Ganze. Gerade in Projekten wie diesem wird deutlich, wie wichtig es ist, dass Architektur, Tragwerksplanung und alle Fachdisziplinen früh gemeinsam an den Tisch kommen. Denn nur wenn alle Disziplinen an einem Strang ziehen, entsteht ein Konzept, das trägt. Architektonisch, konstruktiv, nutzbar und mit einem klaren Blick auf Nachhaltigkeit. Und wenn das gelingt, dann sollten anschließend alle, die daran mitgewirkt haben, gemeinsam auf der Bühne der Öffentlichkeit stehen und mit Stolz und Freude ihre Arbeit präsentieren. Das war eine weitere Folge von Planstimme, dem Format von Architektourist über die Menschen hinter den Plänen. Mehr über die Architektur und Geschichte der Multihalle hörst Du in der dazugehörigen Bauwerkstimme-Folge. Die Links dazu findest Du in den Shownotes, ebenso weitere Informationen zu Fast & Epp, zu Christian Rosenkranz und zum Nutzungskonzept der Multihalle. Wenn Dir diese Folge gefallen hat, empfiehl sie gern weiter oder hinterlasse eine Bewertung bei Spotify oder Apple Podcasts. Ich bin Alexandra Busch, danke fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge von Architektourist.

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