Architektourist

Der Podcast für Architektur, Bautechnik und Baukultur - von und mit Alexandra Busch.

#47 Bauwerk.Stimme – Multihalle Mannheim

Experiment trifft Denkmal – die Rückkehr einer Ikone des Leichtbaus

02.09.2025 13 min

Zusammenfassung & Show Notes

Die Multihalle Mannheim ist ein Meisterwerk des Leichtbaus – geplant von Carlfried Mutschler und Frei Otto zur BUGA 1975, gebaut als temporäre Gitterschale aus Holz, geblieben als Denkmal von internationaler Bedeutung. Sie gilt bis heute als weltweit größte Holzgitterschale und war dennoch jahrzehntelang in Vergessenheit geraten. Nun wird sie aufwendig saniert: behutsam, denkmalgerecht, mit Blick auf Originalsubstanz und Tragwirkung, federführend begleitet vom Ingenieurbüro Fast + Epp aus Darmstadt.

Diese Folge von Bauwerk.Stimme erzählt die Geschichte der Multihalle – vom architektonischen Experiment zur schlafenden Schönheit, vom drohenden Abriss bis zur Wiederentdeckung als Ort für Begegnung, Kultur und Baukultur. Diese erzählerische Episode zeigt, warum das filigrane Dach aus 5x5 Zentimeter dünnen Latten bis heute einzigartig ist, wie digitale Modelle die Sanierung unterstützen und wie sich die ursprüngliche Leichtigkeit eines Bauwerks bewahren lässt.

Einblicke in diese Episode:
  • Die Geschichte hinter dem Experiment 
  • Warum das Tragwerk aus Holzlatten bis heute einzigartig ist
  • Die denkmalgerechte Sanierung der großen Halle
  • Wie die Multihalle wieder zum Ort der Begegnung werden soll
  • Persönliche Eindrücke und ein Besuch im Jahr 2023

Der Podcast:
Architektourist bietet eine Hörreise durch unsere gebaute Umwelt. In jeder Episode nehmen wir Euch mit in die Welt der Architektur und Baustoffe, erkunden kreative Anwendungen und tauchen ein in die Geschichten hinter den Bauprojekten – von der ersten Skizze bis zur fertigen Umsetzung.

Seid bei der nächsten Folge wieder dabei, wenn wir weitere spannende Projekte und Persönlichkeiten aus der Welt des Bauens vorstellen. Wenn Euch die Episode gefallen hat, abonniert Architektourist bei Eurem bevorzugten Podcast-Anbieter.

Ihr habt Fragen oder Vorschläge? Wir freuen uns auf Eure Nachrichten unter kontakt@architektourist.de.

Transkript

Du hörst Bauwerkstimme, ein Format von Architektourist. Experiment trifft Denkmal, die Multihalle Mannheim. Eine Halle, die fast zu schweben scheint. Sanft geschwungen, leicht wie ein Zeltdach, eingepasst in die Landschaft wie ein überdimensionales Blatt Papier. Wer sie zum ersten Mal sieht, staunt und fragt sich, wie kann so etwas aus Holz gebaut sein? Die Rede ist von der Multihalle in Mannheim, ein Bauwerk aus einer anderen Zeit und doch seiner Zeit voraus. Entstanden zur Bundesgartenschau 1975, gedacht als temporäre Leichtbauhalle, gebaut als architektonisch-konstruktives Experiment. Heute ist sie ein unterschätztes Denkmal von internationaler Bedeutung, eine Ikone des leichten Bauens, eine schlafende Schönheit mitten im Herzogenriedpark. Kapitel 1 Ein Bau aus dem Geist des Leichten. Die Geschichte beginnt Anfang der 1970er Jahre. Mannheim bereitet sich auf die Bundesgartenschau 1975 vor und sucht nach einer Halle für Ausstellungen und Veranstaltungen. Keine massive Architektur aus Beton und Stahl. Leicht, transparent, ungewöhnlich sollte sie sein. Der Mannheimer Architekt Karlfried Mutschler schlägt vor, eine Leichtbauhalle zu errichten. Ein Geflecht aus Holz mit einer Membran als Hülle. Flexibel, temporär, ein Experiment im Maßstab 1 zu 1. Für die Formfindung wird Frei Otto hinzugezogen, der große Pionier des leichten Bauens. Otto entwickelt die Form nicht am Reißbrett. Er arbeitet experimentell mit Hängemodellen aus Ketten und Stoff. So entsteht eine Struktur, die sich selbst findet. Frei, weich, organisch, scheinbar schwerelos. Die Statik übernehmen die Ingenieure von Arup in London. Und auch das ist bemerkenswert. 1974 braucht die Berechnung der Holzschale mehrere Räume voller Computer. Und doch ist die Halle nach nur drei Jahren Planung und Bauzeit rechtzeitig zur Buga fertig. Eine logistische, planerische und technische Meisterleistung. Kapitel 2. Form trägt Funktion Doch was macht die Multihalle so besonders? Es ist vor allem ihr Tragwerk, eine Gitterschale aus Holz. Zwei Lagen dünner Latten, diagonal übereinandergelegt, verbunden an tausenden Knotenpunkten. Gerade einmal 5 x 5 cm misst jede Latte. Und doch entsteht daraus ein Bauwerk von über 8000 Quadratmetern. Das Geheimnis liegt in der Form. Doppelt gekrümmt, räumlich gespannt, wie eine gefrorene Welle. Die Konstruktion trägt sich selbst, allein durch Geometrie. Keine Stützen im Inneren, kein massives Skelett. Nur das Gitternetz, das Druckkräfte bündelt und weiterleitet. Und dieses Dach ist unfassbar leicht. Inklusive der Hülle wiegt es gerade einmal 20 Kilogramm pro Quadratmeter. Zum Vergleich, ein normales Betondach bringt leicht das 5- bis 10-fache auf die Waage. Die Hülle besteht aus PVC-beschichteten Membranbahnen, die sich wie eine zweite Haut über das Holz legen. Im Ursprungszustand war diese Membran teilweise transparent, mit Fensterfeldern, die den Blick in die Landschaft öffneten. Ein einfacher, aber wirkungsvoller Kniff. Das Bauwerk schloss sich nicht ab, es öffnete sich zur Landschaft. Kapitel 3 Temporär gedacht, dauerhaft geblieben. Als die Halle 1975 eröffnet wird, ist sie ein Ereignis. Ein Leuchtturmprojekt für leichtes Bauen, ein Symbol für eine neue Architektur, die mit weniger Material mehr Raum schafft. Die Multihalle zeigt, dass auch Holz große Spannweiten tragen kann und wird sofort zu einem Aushängeschild der Buga. Doch das Bauwerk ist nur auf Zeit genehmigt. Zehn Jahre, dann sollte Schluss sein. Die Genehmigung wird verlängert und noch einmal. Die Halle bleibt, auch weil sie zu schön ist, um sie wieder zu verlieren. Aber Ruhm schützt nicht vor Verfall. In den 1990er Jahren zeigen sich erste große Verformungen im Dachtragwerk. Die Schale sackt ab. In der großen Halle bis zu 70 Zentimeter, am Eingang sogar einen Meter. Das Tragverhalten verändert sich. Die Stadt reagiert mit Notabstützungen. Plötzlich stehen Stützen mitten im Raum. Die Eleganz des freien Raums geht verloren. Die Nutzung wird eingeschränkt. Die Halle ist zwar noch da, doch ihr Charakter schwindet. Ein experimenteller Holzbau mit Denkmalstatus. Halb verriegelt, vergessen im Park. Die Frage steht im Raum. Abriss oder Erhalt? Eine Halle ohne Nutzung, dazu hohe Sanierungskosten, kaum vermittelbar. Es beginnt ein jahrelanges Ringen. Erst 2016 fällt die Entscheidung. Die Multihalle bleibt. Die Stadt Mannheim lobt einen Planungswettbewerb aus, beantragt Fördermittel, entwickelt ein Nutzungskonzept. Nicht nur die Technik soll ertüchtigt werden. Die Halle soll wieder ein Ort der Begegnung werden. Das Schlagwort lautet Denkmalgerechte Sanierung. so viel wie möglich erhalten, so wenig wie nötig erneuern. Und vor allem die ursprüngliche Tragwirkung wiederherstellen. Ohne Hilfskonstruktion, ohne statische Krücken. Leichter gesagt als getan, denn die Multihalle ist alles andere als ein Standardbauwerk. Jeder Knotenpunkt ist anders, jeder Bolzen sitzt in einer eigenen Geometrie. Wer hier saniert, baut nicht einfach. Er interpretiert. Kapitel 4 – Wie rettet man eine Leichtigkeit? Die Sanierung der großen Halle läuft und sie geschieht mit beeindruckender Sorgfalt. Jede einzelne Latte des Gitternetzes wird überprüft. Dort, wo Schäden sichtbar sind, werden Teile lokal ersetzt. Doch der Großteil bleibt erhalten, denn Ziel ist es, so viel Originalsubstanz wie möglich zu bewahren. Auch die Dachhaut wird erneuert. Die alte PVC-Membran, inzwischen über 40 Jahre alt, wird abgenommen und ersetzt. Einige der historischen Fensterflächen, jene transparenten Zonen, die einst den Blick in den Park freigaben, werden wiederhergestellt. So kehrt ein Stück der ursprünglichen Leichtigkeit zurück. Die Tragstruktur selbst wird gezielt verstärkt. Nicht flächendeckend, nur gezielt dort, wo es statisch nötig ist. Digitale Modelle haben gezeigt, an welchen Stellen zusätzliche Latten am wirksamsten sind. Das Ergebnis ist eine Optimierung, die minimal eingreift, aber maximale Wirkung erzielt. Doch es geht nicht nur um Technik. Die Multihalle soll wieder ein Ort für alle sein. Nicht exklusiv, nicht abgetrennt. Ein Ort für Menschen, Vereine und Initiativen. Eine Bühne für Kultur, ein Treffpunkt für die Nachbarschaft, ein öffentlicher Raum mit Charakter, mitten im Park. Die Eröffnung der großen Halle ist für 2027 geplant. Dann soll sie wieder erlebbar sein. Als Ort der Begegnung, als Lernraum für nachhaltiges Bauen, als Landmarke für Mannheim. Kapitel 5 – Eine Ikone, die kaum einer kennt. Die Multihalle ist mehr als ein Bauwerk für die Bundesgartenschau gewesen. Sie ist ein Stück Baukultur und ein Symbol für eine Haltung, die damals radikal war. Leicht bauen, experimentieren, Neues wagen. Frei Otto wollte nicht bestimmen, er wollte ermöglichen. Räume, die mit wenig Material viel Wirkung entfalten. Räume, die offen bleiben. Für unterschiedliche Nutzungen, für Interpretationen. Die Multihalle ist das größte gebaute Holzgitterschalentragwerk der Welt. Sie gilt als Ikone des Leichtbaus, ein Meisterstück zwischen Architektur und Ingenieurbau. Seit vielen Jahren zieht sie Fachleute und Neugierige aus aller Welt an. Aus Architektur, Ingenieurwesen und Tourismus. Viele reisen gezielt nach Mannheim, nur um diese Halle einmal selbst zu sehen. Aber außerhalb der Fachwelt ist sie erstaunlich unbekannt. In Mannheim kennen viele die Halle nur von der Buga oder sehen in ihr einfach ein seltsames Bauwerk im Park. Ein Bauwerk, das im Fachjargon manchmal als Sleeping Beauty bezeichnet wurde. Eine schlafende Schönheit, die im Verborgenen liegt und darauf wartet, neu entdeckt zu werden. Die Multihalle Mannheim, sie ist ein Bauwerk voller Gegensätze. Leicht und doch komplex, temporär gedacht und doch geblieben, vergessen und jetzt neu entdeckt. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Besuch dort. 2023 mit Kolleginnen und Kollegen aus der Architektur- und Baufachpresse. Unser Bus hielt an einer Straße irgendwo zwischen Volksfest und Parkplatz. Gegenüber eine Torkonstruktion, wie man sie vielleicht noch von alten Stadien kennt. Verblasste Farbe, wild wuchernde Sträucher rechts und links. Nichts deutete darauf hin, was uns erwartete. Wir wurden abgeholt, liefen einen schmalen Pfad entlang, der sich halb überwuchert einen kleinen Hügel hinaufschlängelte. Und dann stand sie da, die Multihalle. Zeltdachartig, gelblich, fast verwittert, aber mit einer Präsenz, die uns alle sofort ergriff. Wir traten ein. Die Konstruktion, die Dimension, die Geschichte. Alles wirkte gleichzeitig zerbrechlich und groß. Noch war die Halle nicht saniert. Abstützungen, erste Vorarbeiten, Absperrbänder. Aber das machte sie nur noch eindrücklicher. Dieser Moment hat sich eingebrannt. Denn diese Halle hat eine Aura. Sie zieht eine in ihren Bann, egal ob man vom Fach ist oder einfach neugierig. Heute zeigt sie, wie Architektur weiterleben kann, wenn man den Mut hat, Experimente ernst zu nehmen. Und sie erinnert daran, dass Baukultur mehr ist als Stein und Schwere. Auch das Leichte, das Fragile kann uns den Blick aufs Bauen neu eröffnen. Bis 2027 soll die große Halle wieder zugänglich sein, als Raum für Begegnung, Kultur und Alltag, als Landmarke für Mannheim und als Lernort für nachhaltiges Bauen. Ein ganzes Planungsteam arbeitet daran, mit großer Sorgfalt, viel Expertise und Respekt für das Bauwerk. Federführend bei der Tragwerksplanung ist das Büro Fast + Epp, das bereits seit Jahren in die Sanierung eingebunden ist, von den ersten Machbarkeitsstudien bis zur Umsetzung heute. Doch wie gelingt es, ein so besonderes Tragwerk wirklich zu sanieren? Welche Details, Berechnungen und pragmatischen Tests braucht es, um diese fragile Konstruktion zu bewahren? Darüber spreche ich in der nächsten Folge mit Christian Rosenkranz von Fast + Epp. Er nimmt uns mit in die Welt der Tragwerksplanung und erzählt, wie man ein Bauwerk wie die Multihalle technisch, konstruktiv und mit viel Fingerspitzengefühl in die Zukunft bringt. Das war eine weitere Folge von Bauwerkstimme, dem erzählten Kurzformat von Architektourist. Wenn dir diese Folge gefallen hat, empfiehle sie gern weiter oder lass eine Bewertung da bei Spotify oder Apple Podcasts. Ich bin Alexandra Busch, danke fürs Zuhören. Bis zur nächsten Folge von Architektourist.

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