Architektourist

Der Podcast für Architektur, Bautechnik und Baukultur - von und mit Alexandra Busch.

#39 Bauwerk.Stimme – Neues Museum Berlin

Das Gedächtnis der Steine

25.07.2025 12 min

Zusammenfassung & Show Notes

Das Neue Museum in Berlin ist vieles: ein Denkmal, eine Ruine, ein Wiederaufbau und ein Manifest für den sensiblen Umgang mit Geschichte und Material. In dieser Folge von Bauwerk.Stimme erzähle ich die Geschichte eines Hauses, das fast 60 Jahre lang eine offene Wunde auf der Museumsinsel war und das heute als eines der bedeutendsten Beispiele für das Weiterbauen im Bestand gilt.

David Chipperfield und Julian Harrap haben dem Neuen Museum seine Würde zurückgegeben. Der Wiederaufbau wurde zum Statement: für das Sichtbare, das Fehlende, das Fragment. Ich erzähle von Architektur, die nicht übertüncht, sondern erinnert und von zirkulärem Bauen, lange bevor es diesen Begriff gab. Außerdem erfahrt ihr von meinem ganz persönlichen Moment im Treppenraum des Museums – einem Raum aus Licht, Beton und Geschichte.

Einblicke in diese Episode:
  • Das Neue Museum als technische und kulturelle Pionierleistung des 19. Jahrhunderts
  • Wie Chipperfield auf Spuren statt auf Rekonstruktion setzte
  • Die monumentale Treppenhalle – Sichtbeton, Einschusslöcher und ein Blick nach oben
  • Warum Zirkularität hier Haltung ist, nicht Methode
  • Was das Neue Museum mit dem Omega Haus in Offenbach verbindet
  • Persönliche Erinnerung an einen Museumsbesuch 

Der Podcast:
Architektourist bietet eine Hörreise durch unsere gebaute Umwelt. In jeder Episode nehmen wir Euch mit in die Welt der Architektur und Baustoffe, erkunden kreative Anwendungen und tauchen ein in die Geschichten hinter den Bauprojekten – von der ersten Skizze bis zur fertigen Umsetzung.

Seid bei der nächsten Folge wieder dabei, wenn wir weitere spannende Projekte und Persönlichkeiten aus der Welt des Bauens vorstellen. Wenn Euch die Episode gefallen hat, abonniert Architektourist bei Eurem bevorzugten Podcast-Anbieter.

Ihr habt Fragen oder Vorschläge? Wir freuen uns auf Eure Nachrichten unter kontakt@architektourist.de.

Transkript

Du hörst Bauwerkstimme, ein Format von Architektourist. Episode 4 Spuren, Schichten, Stille – das neue Museum in Berlin. Berlin, Mitte, Bodestraße. Eine Insel in der Spree, weltberühmt und weltverwoben. Die Museumsinsel. Ein Ort der Erinnerung, der Repräsentation und der Ruinen. Zwischen dem alten Museum am Lustgarten und dem monumentalen Pergamon-Museum liegt ein Haus, das lange sprachlos war. Eine Architektur im Wartestand, fast 60 Jahre lang nur Fragment mit zerborstenen Decken, freigelegten Ziegeln, offenen Wunden. Das neue Museum Erbaut Mitte des 19. Jahrhunderts unter der Leitung von Friedrich August Stühler, einem Schüler Schinkels. Ein revolutionärer Museumsbau seiner Zeit, klassizistisch im Geist, neorenaissancehaft im Detail, geschaffen als Erweiterung für die königlichen Sammlungen mit der ägyptischen Sammlung als Herzstück. Im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, dann jahrzehntelang vernachlässigt, ein Denkmal in Trümmern. Bis 1997 die Restaurierung begann, unter der Leitung von David Chipperfield und mit einer Architektursprache, die nicht auf Rekonstruktion setzte, sondern auf Würde. Alles erhalten, was alt ist, alles ergänzen, was fehlt und alles Neue sichtbar lassen. Heute ist das neue Museum mehr als nur ein Museumsgebäude. Es ist ein architektonisches Manifest gegen das Vergessen, für das Weiterbauen und für eine neue Ehrlichkeit im Umgang mit dem Bestand. Teil 1 – Ein Ort voller Brüche und Bedeutungen. Man könnte sagen, es war der erste Museumsbau, der selbst wie ein Exponat gedacht war. Das neue Museum wurde zwischen 1843 und 1855 errichtet, auf über 2300 Holzpfählen tief im sandigen Berliner Boden verankert. Ein statisches Wagnis, ein ingenieurtechnischer Kraftakt. Und zugleich ein architektonisches Programm, denn das Haus war in vielem seiner Zeit voraus. Erstmals kamen Eisenkonstruktionen in großem Stil zum Einsatz. Sie ermöglichten unterschiedlichste Deckenformen, ein zusätzliches Geschoss, neue Raumabfolgen. Unterstützt wurde der Bau durch eine damals revolutionäre Technik. Die erste Dampfmaschine auf einer Berliner Baustelle, sie bewegte Pfähle, mischte Mörtel, Triebaufzüge an. Das Gebäude misst rund 105 mal 40 Meter. Seine Flügel gruppieren sich um zwei Innenhöfe, den ägyptischen und den griechischen Hof. Die Fassade, klassizistisch zurückhaltend, verputztes Ziegelmauerwerk mit Scheinquaderung. Nichts sollte sich aufdrängen, die Museumsinsel war als Ensemble gedacht, nicht als Bühne für Solisten. Im Inneren entstand ein räumliches Kompendium. Jeder Saal inszenierte eine andere Epoche mit Wandmalereien, Ornamenten, antikisierenden Motiven. Ein begehbares Geschichtsbuch, ein steilendes Kompendium der Menschheitsgeschichte, wie man später sagte. Doch dieser große Wurf wurde je unterbrochen. Zwischen 1943 und 1945 trafen Bomben das Museum. Es brannte aus. Decken stürzten ein. Kunstwerke wurden zerstört. Manche Räume wurden vermauert, um das Gebäude notdürftig zu stabilisieren. Die meisten Sammlungen konnten ausgelagert werden, nicht alle. Einige Stücke, darunter auch Teile der ägyptischen Sammlung, blieben vor Ort und wurden beschädigt. Was blieb, war ein Hohlkörper, eine leere Hülle und jahrzehntelanges Schweigen. In der DDR sicherte man notdürftig, riss aber auch ab. Das neue Museum wurde zum blinden Fleck im kulturellen Gedächtnis der Stadt. Ein Haus, das einst den Fortschritt feierte, wurde zum Symbol für Verlust, Erinnerung und Erneuerung. Ein Ort voller Brüche und Bedeutungen. Erst nach der Wende kam Bewegung in die Sache. Ein neues Interesse, ein neuer Blick und schließlich ein Auftrag. David Chipperfield sollte den Wiederaufbau übernehmen. Nicht als Rekonstruktion, nicht als Denkmalpflege im klassischen Sinn. Stattdessen als behutsame Annäherung, als architektonisches Weitererzählen. Teil 2 Chipperfields Prinzip oder Weiterbauen heißt Zuhören, Lange war das neue Museum nur eine Hülle, eine Ruine in bester Lage. Der Zahn der Zeit hatte zugebissen und man ließ ihn gewähren. Erst nach dem Mauerfall kehrte die Aufmerksamkeit zurück und mit ihr die Frage, was tun mit diesem Haus? Abriss, Rekonstruktion oder ein dritter Weg? 1997 wurde David Chipperfield mit dem Wiederaufbau beauftragt. Gemeinsam mit dem Londoner Restaurator Julian Harrap. Zwei, die das Gedächtnis des Gebäudes ernst nahmen und daraus einen zeitgemäßen Raum entwickelten. 2003 begannen die Arbeiten, sechs Jahre später öffnete das neue Museum erneut seine Türen. Chipperfields Haltung ist leise, aber entschieden. Nichts wird übertüncht, was erhalten werden kann, bleibt, was fehlt, wird ergänzt, klar, eigenständig, lesbar. Der neue Beton unterscheidet sich vom alten Ziegel. Die moderne Treppe bricht mit der Ornamentik von einst. Die Kriegsschäden, Einschusslöcher, Brandspuren, Risse bleiben sichtbar. Gezeigt, um zu erinnern, nicht, um zu beeindrucken. Ein Gebäude, das nicht so tut, als wäre nichts gewesen. Die Materialpalette ist reduziert, Sichtbeton, helle Oberflächen, dunkles Holz, Bronze. Kein Versuch, das Alte zu imitieren, kein Wunsch, das Fehlende zu verstecken, stattdessen ein Miteinander von Geschichte und Gegenwart. Raumfolgen wurden rekonstruiert, wo es nötig war, aber nie bis zur Illusion. Manche nennen das eine dreidimensionale Collage. Chipperfields Entwurf versucht keine Zeitreise. Er schafft einen Raum, der sich erinnert und der bereit ist, weiterzuerzählen. Teil 3 – Zwischen Licht und Narben. Wer das neue Museum betritt, steht unweigerlich in ihm, dem Herzstück des Hauses, der großen Treppenhalle. Früher prunkvoll dekoriert mit Wandmalereien, Deckenbildern, Ornamenten, ein Spiegel des Weltbilds des 19. Jahrhunderts. Heute ein monumentaler Raum mit Sichtbetontreppe. Glatte Flächen, helle Stufen, klare Linien. Und dazwischen Einschusslöcher. Spuren von Splittern, Narben im Ziegel. Nicht zu übersehen, nicht versteckt. Chipperfield hat diesen Treppenraum neu erzählt. Mit großen, vorgefertigten Betonelementen, gefertigt aus einem eigens entwickelten Marmorbeton. Dreiläufig zieht sich die Treppe nach oben. Ruhig, gleichmäßig, ohne Pathos. Das Licht kommt von oben, gefiltert, gezielt. Die Wandoberflächen, roh und offen. Der Blick, unweigerlich nach oben gerichtet. Auch in den Galerien, Fragmente. Reste von Deckenmalereien, Putzschichten, Farbfeldern. Nichts wird kaschiert, nichts vollendet. Das Alte bleibt, wo es trägt. Das Neue tritt hinzu, deutlich, aber zurückhaltend. Die Materialien sprechen ihre eigene Sprache. Ziegel, Beton, Putz, recycelte Backsteine, über 350.000 Stück wurden wieder verbaut, ein Zeichen für Zirkularität. Die Räume bleiben uneinheitlich, manche klar, andere roh, manche vollständig nutzbar, andere fragmentarisch. Und doch, alles gehört zusammen. Es ist diese Uneindeutigkeit, die das neue Museum so besonders macht. Chipperfield fügt ein, aber nie zu viel. Teil 4 – Was bleibt und was weitergeht. Das neue Museum ist ein Gebäude, das nicht so tut, als sei nie etwas passiert. Es erklärt nichts, es behauptet nichts, es zeigt, was einmal war und was daraus geworden ist. Nicht nur durch seine Exponate, vielmehr durch seine Mauern, seine Narben, seine Brüche. Gerade darin liegt seine Kraft. Es macht erfahrbar, wie Architektur erinnern kann und wie sie gleichzeitig weitergehen kann. In David Chipperfields Haltung zum Wiederaufbau liegt ein klares Plädoyer für das, was heute als zirkuläres Bauen bezeichnet wird, lange bevor dieser Begriff im Architekturdiskurs angekommen war. Hunderttausende alte Ziegel wurden aufgearbeitet und erneut verbaut. Was nutzbar war, blieb. Was ergänzt wurde, spricht eine andere Sprache, aber nie gegen das Original. Das neue Museum steht damit exemplarisch für ein Denken, das auf Respekt vor dem Bestehenden setzt und auf einen bewussten Umgang mit Ressourcen. Es zeigt, dass Zirkularität mehr sein kann als Rückbau, Recycling und CO2-Bilanz, nämlich eine Haltung, eine Kulturtechnik. Mit dem Vorhandenen weiterzubauen statt neu zu beginnen, findet sich heute an vielen Orten. Nicht immer so eindrucksvoll, nicht immer so sichtbar, aber doch spürbar, auch im Alltäglichen. Das Omega-Haus in Offenbach geht zum Beispiel diesen Weg. Weniger monumental, weniger emotional, aber getragen vom gleichen Impuls. Bestand verstehen, Struktur nutzen, Substanz bewahren und weiterdenken. Beide Gebäude, das eine Welt berühmt, das andere funktional, erzählen von einer Architektur, die erinnert und dabei offen bleibt für Neues. Ich war selbst im Neuen Museum, kurz nach der Wiedereröffnung. Ich kam unvorbereitet, kein Plan, kein Vorwissen, kein Ausstellungskatalog. Nur ein Nachmittag in Berlin und ein freier Slot im Kalender. Und dann stand ich da, im Treppenraum, mitten in diesem hellen, klaren Raum aus Beton, Licht und Ruhe. Erhaben, aber nicht monumental, reduziert und doch voller Bedeutung. Ich sah die Einschusslöcher und verstand sie erst nicht. Ich dachte an Baufehler, an Patina, bis mir jemand erklärte, was da eigentlich zu sehen ist. Und plötzlich war alles da. Der Krieg, die Ruine, das Weiterbauen. Keine Geschichte hinter Glas, eine Geschichte, die Raum geworden ist. Seitdem lässt mich dieser Ort nicht mehr los, weil er zeigt, was Architektur kann, wenn sie zuhört. Das war die vierte Folge von Bauwerkstimme, dem erzählten Kurzformat von Architektourist. Wenn Du Lust hast, noch tiefer einzusteigen, in der aktuellen regulären Folge von Architektourist geht es um das Omega-Haus in Offenbach. Ein Bürogebäude, das ganz anders wirkt, aber denselben Gedanken trägt. Mit dem Weiterbauen, was schon da ist. Wenn Dir diese Folge gefallen hat, empfiehlt sie gern weiter. Oder lass eine Bewertung da bei Spotify oder Apple Podcasts. Ich bin Alexandra Busch, danke fürs Zuhören. Bis zur nächsten Folge von Architektourist.

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