#57 Tag der Umbaukultur – Weiterbauen statt wegwerfen
Ein Gespräch mit Reiner Nagel, Bundesstiftung Baukultur
29.10.2025 22 min
Zusammenfassung & Show Notes
Umbaukultur bedeutet, Gebäude, Materialien, Geschichte und Gesellschaft anders zu betrachten, nämlich als Ressource, nicht als Altlast. In dieser Episode spreche ich mit Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, über das Potenzial des Bestehenden und darüber, warum vieles eine neue Bewertung verdient. 
Anlass für unser Gespräch ist der Tag der Umbaukultur am 8. November, eine Initiative der Bundesstiftung, die seit 2022 dazu aufruft, dem Bestand mehr Geltung zu verschaffen. Wir reden über kulturelle, soziale und politische Dimension des Weiterbauens, über ästhetische Chancen, Mikro-Eingriffe, über graue und goldene Energie und über die Frage, was passieren muss, damit Umbaukultur vom Ausnahmefall zur Regel wird.
Einblicke in diese Episode:
Anlass für unser Gespräch ist der Tag der Umbaukultur am 8. November, eine Initiative der Bundesstiftung, die seit 2022 dazu aufruft, dem Bestand mehr Geltung zu verschaffen. Wir reden über kulturelle, soziale und politische Dimension des Weiterbauens, über ästhetische Chancen, Mikro-Eingriffe, über graue und goldene Energie und über die Frage, was passieren muss, damit Umbaukultur vom Ausnahmefall zur Regel wird.
Einblicke in diese Episode:
- Was Umbaukultur vom klassischen Bauen im Bestand unterscheidet
- Warum Abriss oft schneller erscheint, aber selten klüger ist
- Die sechs zentralen Hürden beim Umbauen
- Beispiele für gelungene Umbauprojekte
- Gestaltung, Teilhabe und Vertrauen
- Die neue Studie "Einfach umbauen" der TU München
- Warum Klein- und Mittelstädte echte Zukunftsräume sein können
Links zur Folge:
Reiner Nagel auf LinkedIn
Webseite der Bundesstiftung Baukultur
Baukulturbericht „Neue Umbaukultur“ (2022/23)
Studie „Einfach umbauen“ – TU München
Informationen zur Samtweberei in Krefeld
Informationen zum Hof Prädikow
Cover: Bundesstiftung Baukultur
Reiner Nagel auf LinkedIn
Webseite der Bundesstiftung Baukultur
Baukulturbericht „Neue Umbaukultur“ (2022/23)
Studie „Einfach umbauen“ – TU München
Informationen zur Samtweberei in Krefeld
Informationen zum Hof Prädikow
Cover: Bundesstiftung Baukultur
Der Podcast:
Architektourist bietet eine Hörreise durch unsere gebaute Umwelt. In jeder Episode nehmen wir Euch mit in die Welt der Architektur und Baustoffe, erkunden kreative Anwendungen und tauchen ein in die Geschichten hinter den Bauprojekten – von der ersten Skizze bis zur fertigen Umsetzung.
Seid bei der nächsten Folge wieder dabei, wenn wir weitere spannende Projekte und Persönlichkeiten aus der Welt des Bauens vorstellen. Wenn Euch die Episode gefallen hat, abonniert Architektourist bei Eurem bevorzugten Podcast-Anbieter.
Ihr habt Fragen oder Vorschläge? Wir freuen uns auf Eure Nachrichten unter kontakt@architektourist.de.
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Transkript
Willkommen bei Architektourist, dem Podcast über Architektur,
Baukultur und die Geschichten hinter den Gebäuden.
Heute mit Reiner Nagel, dem Vorstandsvorsitzenden der Bundesstiftung Baukultur.
Unser Thema Umbaukultur, warum sie mehr ist als Bauen im Bestand und wie sie
zur gesellschaftlichen Transformation beitragen kann.
Anlass für unser Gespräch ist der Tag der Umbaukultur am 8. November.
Ich freue mich, dass Du heute wieder dabei bist.
Ein stillgelegter Bahnhof, irgendwo in einer deutschen Kleinstadt.
1895 erbaut, Ziegelfassade mit Rundbogenfenstern, eiserne Dachkonstruktion,
gusseiserne Säulen im Inneren.
Ein Zeugnis der wilhelminischen Verkehrsinfrastruktur.
Aber seit Jahren steht er leer. Züge halten hier schon lange nicht mehr.
Und die Frage steht im Raum, abreißen oder doch behalten?
Einfach alles wegreißen, nur weil es nicht mehr gebraucht wird?
Die graue Energie, die in das Gebäude geflossen ist, also all das,
was beim Bau an Material, Transport, Herstellung und Montage verbraucht wurde,
wäre für immer verloren.
Und die goldene Energie, also die emotionale, kulturelle und soziale Bedeutung
eines solchen Ortes, gleich mit.
Aber was wäre, wenn man den Bahnhof einfach umbaut?
Ohne großes Brimborium, ein paar helfende Hände aus dem Ort, ein Handwerksbetrieb,
der Lust hat mitzumachen, ein bisschen neue Technik, ein paar neue Ideen,
ein Coworking-Space mit kleinem Kaffee, vielleicht sogar eine Tagespflege,
alles unter einem Dach, das ja längst schon da ist.
Umbaukultur, das ist genau dieses Prinzip. Weiterbauen statt Wegwerfen. Am 8.
November ist Tag der Umbaukultur, initiiert von der Bundesstiftung Baukultur,
die hat 2022-2023 mit dem Baukulturbericht "Neue Umbaukultur" ein starkes Zeichen gesetzt.
Ich spreche heute mit Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung
Baukultur, über das Potenzial des Bestehenden, über politische Hemmnisse,
soziale Chancen und über die Frage, wie können wir mit dem Bauen beginnen,
ohne immer gleich neu zu bauen.
Lieber Herr Nagel, wir sprechen ja heute über den Tag der Umbaukultur,
eine Initiative, die mittlerweile fest im Kalender der Baukultur verankert ist.
Wissen Sie noch, wie diese Idee damals entstanden ist?
Als wir den Baukulturbericht Neue Umbaukultur fertig haben, war uns schon klar,
das ist sowas wie ein Dekadenprojekt.
Wir müssen wirklich einen Paradigmenwechsel hinkriegen zur Umbaukultur.
Und da haben wir zufällig am Morgen mal geguckt. Es gibt so auch zum Teil lobbyistisch
getragene Namenstage in Deutschland. Was ist eigentlich heute für ein Tag?
Und dann war es der internationale Tag der Stadtentwicklung.
Es gibt aber auch Tage der Currywurst und so weiter.
Und dann haben wir gesagt, naja, bevor es Currywurst wird, machen wir lieber
heute den Tag der Umbaukultur und behaupten das einfach. Und jetzt machen wir das seit drei Jahren.
Und inzwischen ist das schon eine kleine Tradition geworden nach drei Jahren,
dass auch Initiativen teilnehmen und sich an diesem 8.
November dem Thema Umbaukultur in besonderer Weise widmen.
Und wenn es uns gelingt, diesen Tag nicht nur bei der Bundesstützung Baukultur,
sondern auch in der Szene zu etablieren, dann ist schon mal erreicht,
dass das Thema mindestens jährlich aufgerufen wird, vielleicht dann im Echo
auch monatlich oder täglich.
Sie haben eben schon die wachsende Resonanz angesprochen. Wer genau beteiligt
sich denn mittlerweile am Tag der Umbaukultur? Welche Initiativen und Akteure?
Das ist von BISS. Das sind zunächst die Baukulturinitiativen der Länder,
die natürlich auch in Umbaukultur ein tragendes Thema und wichtiges Thema sehen.
Es sind dann aber auch die architektonischen oder strukturellen Verbände,
BDA, das Haus der Erde, ja also als wichtiges Thema des Umbaus identifiziert hat.
Oder es sind die neuen Verbände, die sagen, im Umbau, also Bestand liegt die
Zukunft, die auch an diesem Tag besondere Themen veranstalten.
Umgekehrt, an dem Tag findet ja sowieso vieles statt, zum Beispiel der Innenarchitektur Summit.
Und dann kann man natürlich sagen, Innenarchitektur, das ist immer Umbau,
weil man ja meistens von dem ausgeht, was ist.
Und insofern ist das ein passender Tag, um die Umbaukultur nochmal zusätzlich zu betonen.
Der Tag der Umbaukultur ist kein offizieller Feiertag. Und doch steht er seit
einigen Jahren im Kalender vieler Planungsbüros, Baufachleute und Umbaubegeisterter.
Initiiert wurde dieser Aktionstag 2022, wie wir eben schon gehört haben,
von der Bundesstiftung Baukultur zur Veröffentlichung ihres gleichnamigen Baukultuberichts.
Mit diesem Bericht wollte man nicht nur analysieren, wo wir im Umgang mit unserem
Gebäudebestand stehen, sondern auch eine kulturelle Wende einleiten.
Weg vom Abriss hin zum Weiterbauen.
Weg vom scheinbar leichteren Neubau hin zur Wertschätzung des Vorhandenen.
Ziel ist es, Planungsbüros, Kommunen, Initiativen und letztlich uns alle dazu
zu ermutigen, genauer hinzuschauen.
Welche Qualitäten stecken im Bestand?
Wie können wir mit einfachen Mitteln weiterbauen, anpassen, neu beleben?
Und wie können wir die Energie, die bereits in Materialien und Bauprozessen
steckt, anders bewerten?
Vielleicht als etwas, das nicht nur Ressourcen, sondern auch Geschichte,
Atmosphäre und kollektives Wissen bewahrt.
Der 8. November soll zum Fixpunkt für diesen Perspektivwechsel werden.
Bundesweit zeigen Beteiligte an diesem Tag gute Beispiele, laden zu Führungen
ein und diskutieren Umbaukultur in Social Media unter dem Hashtag Tag der Umbaukultur.
So entsteht Sichtbarkeit vom einzelnen Haus bis zur ganzen Stadt.
Herr Nagel, ich habe in den letzten Wochen mit ganz unterschiedlichen Leuten
über das Thema Umbaukultur gesprochen und dabei gemerkt, dass der Begriff Umbau
doch oft anders verstanden wird als das klassische Bauen im Bestand.
Vielleicht können Sie das nochmal einordnen. Was genau unterscheidet Umbaukultur
vom gewohnten Bauen im Bestand?
Oder ist es am Ende doch das Gleiche, nur mit einem anderen Namen?
Das Bauen im Bestand ist ja eigentlich immer Thema.
Wenn man Städtebau betreibt, kontextuell denkt oder Landschaftsarchitektur baut auch immer im Bestand.
Wenn wir über Umbaukultur reden, dann reden wir in der Regel über bestehende
Bauwerke, also entweder Gebäude oder Infrastrukturen, deren Erhalt.
In Frage steht, wo es ist, kann man das halten, muss man einen Ersatzneubau
machen oder können wir das Gewinn bringen für die nachfolgende Nutzung umbauen.
Deshalb ist die reine Umbaukultur natürlich eine Haltung dem Gebäude gegenüber,
nicht nur über Zahlen und Excel-Tabellen die graue Energie zu messen,
sondern auch Identität und Charakter des Bauwerks zu sehen, zu fühlen,
möglicherweise zu riechen,
welche Besonderheiten mit dem Bauwerk verbunden sind.
Das betrifft auch Materialien oder die Geschichte des Hauses und damit die goldene
Energie, die diesem Gebäude oder der Infrastruktur innen wohnt,
auch in die Zukunft zu führen.
Also Umbaukultur betrifft das Bauwerk.
Umgang mit dem Bestand betrifft im Grunde Kontextualität, ist nochmal ein größerer
Rahmen, der im Grunde fast bis zur Stadtentwicklung geht.
Denn wenn wir eine Ortsmitte neu positionieren, dann bauen wir immer im Bestand
der bestehenden Gebäude.
Aber das kann eben auch zum Teil ergänzender Neubau sein.
Haben Sie aus Ihrer Erfahrung ein Beispiel, bei dem für Sie ganz persönlich
spürbar wird, was Umbaukultur bedeuten kann?
Ein Projekt, bei dem Sie sagen würden, genau so sollte das gehen.
So kann Umbaukultur aussehen, im besten Sinne.
Naja, also man könnte von bis sagen, also die Samtweberei in Krefeld beispielsweise,
die ist ohne großen Aufwand umgebaut worden in Wohnungen, Büroräume,
in einen Café und einen öffentlichen Raum unter einem Sheddach für Kinder zum Kinderspiel.
Das hat fast nichts gekostet, das war so zwischen Pinselstrich und 600,
700 Euro pro Quadratmeter, sodass dann letztlich mit 7,50 Euro Kostenmiete ein
abgeschriebenes Projekt weiter genutzt werden kann.
Das ist eigentlich ideal und mit den mikroinversiven Maßnahmen der vorgestellten
Balkone, des Sheddachs, das genutzt wurde, des Cafés, das sehr wohnlich und auch ansprechend ist.
Entsteht sowas wie ein sympathischer Ort, der natürlich von der Seele des Bestandes
lebt. Das ist, finde ich, ein sehr gutes Beispiel.
Oder der Hof Prädikow in der Märkischen Schweiz, wo ausgehend vom Bestand Haus
zu Haus angeguckt wird, was können wir da machen, wie können wir da umbauen,
sogar in dem Fall Initiativ und mit Selbstausbauinitiative, also Muskelhypothek.
Und das funktioniert auch bestens.
Es können aber auch ganz prätentiöse Projekte sein.
Die Elbphilharmonie in Hamburg, da würde man jetzt nicht darauf kommen,
dass das ein Umbauprojekt ist. Das ist es ja in Wirklichkeit auch nicht,
denn das Haus ist ja komplett neu gebaut.
Der ehemalige Kaispeicher A. von Werner Kallmorgen, der da stand,
ist ja komplett ausgehöhlt worden, neu gegründet und aufgemacht.
Aber wie würde die Elbphilharmonie aussehen, wenn da nicht ein Bestand gewesen
wäre, den sie sich sozusagen einpressen musste,
dass sie nach oben geradezu rausquillt wie ein Muffin und letztlich daraus ihre
spezifische Identität und Gestalt erfährt.
Und wenn nicht die Ziegelwand dieses bestehenden Kaispeichers,
die Luken und die Halbportalkräne an dem Gebäude für den Charakter sorgen würden,
dann wäre die Elbphilharmonie auch nur halb so schön.
Sie betonen oft, wie wichtig gute Gestaltung ist, auch beim Umbauen.
Würden Sie sagen, dass Umbaukultur auch gesellschaftlich wirkt,
also im Sinne von Identität, Teilhabe, Zusammenhalt?
Ja, also mit dem Bestand ist ja zunächst mal eine andere Herangehensweise verbunden.
Wir müssen eine Bestandsaufnahme machen, also im wahrsten Sinne des Wortes.
Das heißt, die Phase Null hat eine ganz andere Bedeutung.
Wir müssen Grundlagen ermitteln, wir müssen uns abstimmen, was geht,
was geht nicht, wo sind riskante Pfade.
Wo möchte man nicht zum Beispiel in hohe Kosten oder in schädliche Baustoffe hineinlaufen?
Und deshalb ist schon die Abstimmung untereinander, wenn man so will,
eine Kulturtechnik der Zusammenarbeit.
Und dann ist es so, dass ein Gebäude, das man umbaut, natürlich Potenzial hat,
auch ästhetisch hochwertig gestaltet zu werden.
Wir wissen auch aus Bevölkerungsumfragen, dass die Menschen dem Bestand mehr
vertrauen, was Gestaltqualität betrifft, als vielen Neubauten,
bei denen sie sich Kisten erwarten.
Das heißt, das ist schon mit einer höheren Akzeptanz aus der Nachbarschaft und
der Bevölkerung per se verbunden.
Und drittens ist natürlich dieses Ausgehen vom Bestand immer auch mit kürzeren
Bauzeiten in der Regel verbunden, mit mikroinvasiven Eingriffen, mit weniger Staub,
mit Mitgehen der Nachbarschaft, die vielleicht da unterstützen kann und so weiter.
Also dieses Zusammenleben wird gefördert. Und wenn wir die drei Ebenen sehen,
gute Zusammenarbeit, also den Prozess, der zu guter Baukultur führt,
ansprechende Gestaltung und das gute Zusammenleben im Projekt,
dann ist das schon stabilisierend, nicht nur für das Bauwerk und das Bauwesen,
sondern auch für die Gesellschaft.
Und wie gehen Sie mit den vielen Einwänden um? Zu teuer, zu langsam,
zu kompliziert? Zieht da das Argument der Gestaltung überhaupt noch?
Ich bin ja schon länger unterwegs und es gibt tatsächlich einen Wandel, was das betrifft.
Ich bin beispielsweise seit 1998 auf den großen Immobilienmessen in Cannes,
MIPIM oder in München, Expo Real.
Und dieses Thema Abrissneubau funktioniert auf den Messen. Abrissneubau,
Abrissneubau, Abrissneubau, Abrissneubau, sehe ich sofort.
Und das hat sich geändert. Inzwischen haben die großen Unternehmen richtig Messestände,
die sich dem Bestand widmen.
Dresden Sommer, ein Entwicklungsmanagement-beratendes Unternehmen,
hat Restoring als Hauptthema für ihren Messestand jetzt international entwickelt.
Das heißt, die Reputationsfähigkeit des Bestandes wächst.
Und deshalb sind auch nicht mehr so viele kritische Stimmen,
sondern es sind durchaus Stimmen, die sagen, ja, muss man sich angucken,
vielleicht bringt es was.
Auch die Banken sagen inzwischen, naja, also das Klumpenrisiko eines Abrissneubaus
und eines verendenden Projektes auf halber Strecke ist nicht ganz so groß,
wenn ich mit dem Bestand umgehe.
Da kann ich immer noch sozusagen Plan B, Plan C machen, wenn irgendwas ist.
Das heißt, der Bestand kriegt mehr Geltung. Es gibt eben unheimlich viele gute
Argumente für den Bestand, auch der professionellen Immobilien- und Bauwirtschaft.
Bauwirtschaft sind ja die Handwerker.
Handwerker arbeiten lieber im Bestand, weil sie da als Expertinnen und Experten gefragt sind.
Der Neubau, da öffnen sie mit Cuttern Europaletten, wo Baumaterialien drauf
sind, schleppen die hoch und legen die aus.
Das ist nicht so reizvoll.
Während, wie würdest du das machen? Das ist eine schwierige Ecke,
wie löst du die? Ja, pass auf, ich mache so und so.
Das sind Themen, die sind reizvoll auch für das Arbeiten auf der Baustelle.
Wir brauchen ja auch Fachkräfte, die Lust haben zu arbeiten.
Und es sind natürlich immer noch genug Stimmen da, die aus der alten Liga kommen
und die es sich lieber einfach machen.
Dieses Thema Abriss-Neubau, Abriss-Neubau, Abriss-Neubau baut schon auf eine Erfahrung auf.
Nämlich auf der Erfahrung, dass das angesichts unserer aktuellen Gesetze und
Normen sehr kompliziert werden kann.
Beispielsweise Schulen in Bayern müssen, wenn sie 10 Prozent oder mehr als 10
Prozent Neubaupotenzial haben, für alle Räume Neubaustandards erfüllen, auch für den Bestand.
Und da haben wir ja mit dem Umbaukulturbericht nochmal sozusagen die sechs großen
Hürden identifiziert, die dem Umbau immer wieder entgegenstehen.
Das sind Brandschutz, Schallschutz und Wärmeschutz. Da kann man niedrigere Standards
anwenden, da sind wir sicher.
Das sind aber auch Abstandsflächen, Barrierefreiheit. Warum muss ein bestehendes
Haus bis ins letzte Geschoss oben barrierefrei sein, also einen neuen Aufzug brauchen?
Das reicht doch, wenn es im Erdgeschoss und vielleicht über den Lift noch im
Obergeschoss barrierefrei oder barrierefreundlich ist.
Und dann die anderen lässt man erstmal so. Und letzter Punkt, Stellplätze.
Die Stellplätze brechen häufig dem Bestand das Genick, weil am Schluss ist alles
klar, aber dann wird gesagt, ja, wir brauchen 30 Stellplätze.
Ja, dann müssen wir jetzt das Haus doch wegnehmen und eine Tiefgarage bauen.
Und dann haben wir gar nichts gewonnen. Wir reißen das Haus ab.
Wir verlieren eine vielleicht schöne oder gute Architektur.
Und wir bauen CO2-trächtig ein Tiefgaragengeschoss, in dem dann vielleicht doch
wieder kein Auto steht. Weil unsere meisten Tiefgaragen in Deutschland sind leer.
Sie haben gerade die Hürden angesprochen, die das Umbauen oft erschweren,
von Brandschutz bis zu den Stellplätzen.
Wird es aus Ihrer Sicht nicht höchste Zeit, dass wir auch beim Umbauen mit einfacheren,
realistischeren Standards arbeiten?
Ja, deshalb sind wir auch froh, dass die TU München nicht nur das Thema Einfach Bauen
initiiert hat, sondern jetzt am 23.10.
Die neue Studie Einfachumbauen vorstellt. Und wiederum Florian Nagler,
Thomas Auer und Anne Niemann haben dort einen Forschungsbericht erarbeitet,
Der zeigt, wie Umbau einfacher gehen kann.
Das hat natürlich auch was mit den technischen Standards zu tun.
Und ich habe noch niemanden getroffen, der ein Problem hat, im Bestand zu leben,
aber wenn dann umgebaut werden soll, plötzlich einen ganz anderen Maßstab ansetzt,
vielleicht auch durch Verbraucherschutz und durch einen eigenen Rechtsanspruch.
Aber da sage ich, was sozusagen erlaubt ist, nämlich mit dem Bestand auch niedrigschwellig
umzugehen, erzeugt dann auch nicht so viele Konflikte.
Und wenn das die Lösung ist, dann freue ich mich auf diese neue Umbaukultur,
die jetzt auch mit dieser Studie aus München nochmal wieder Rückenwind kriegt.
Kann Umbaukultur auch eine Antwort auf die Wohnungsnot sein oder zumindest ein Teil der Lösung?
Und lässt sich damit gleichzeitig etwas für den Klimaschutz und den gesellschaftlichen
Zusammenhalt erreichen?
Das sind natürlich Analogieschlüsse und Argumente, die man da austauscht.
Aber dem Klimawandel können wir auf jeden Fall in guter Weise begegnen,
weil wir natürlich, wenn wir die Grauenergie des Gebäudes halten und es umbauen,
dann ist schon mal vor der Klammer dieser CO2-Bilanz ein 0,5 mal das, was wir neu machen.
Denn etwa 56 Prozent der Grauen Energie, also des CO2-Fußabdrucks, ist im Rohbau.
Und selbst wenn man da ein Gebäude wieder auf die Kellersohle führt,
hat man noch 35 Prozent gerettet.
Also das lohnt sich schon, da klimabezogen den Bestand nochmal zu sehen.
Ich glaube auch, dass man im Zweifel leichter und kostengünstiger Wohnungen
im Bestand schaffen kann.
Also ein positives Beispiel sind Umbau von Büroflächen, weil Büroflächen wegen
ihrer Raumtiefe 15 bis 18 Meter Mittelflur in der Regel ziemlich gut auch in
durchgestochene Wohnungen umgebaut werden können.
Der Vorgesetzte Erschließung, Laubengängen und so weiter.
Das lässt sich auch alles unter Neubaukosten machen und dann kommt auch wirklich was an den Markt.
Aber der Bestand kann eben auch nicht nur um, sondern auch erweitert werden.
Das heißt Aufstockungen, Anbauten, Ergänzungen.
Also wenn ich schon mal ein Haus stehen habe, mit einem kleinen Anbau da weiterzubauen
und nochmal ein, zwei Wohnungen zu schaffen, das kann auch kleine Formate übrigens
betreffen, Einfamilienhäuser, dann ist das wirklich ein substanzieller Beitrag zum Wohnungsangebot.
Und das Thema der Wohnungsbedarfe ist natürlich hochkomplex.
Und die Politik ist natürlich auch gefordert, das zu bedienen,
was als Nachfrage da ist und sich artikuliert.
Das sind Wohnungen, die in großen Städten gebraucht werden.
Häufig ist der Bestand allemal der Leerständebestand eben nicht da.
Aber da sage ich, da muss man mit Beharrlichkeit nochmal unsere Polyzentralität
in Deutschland und Zentraleuropa als Argumente auf den Tisch legen.
Denn Klein- und Mittelstädte haben eine hohe Attraktivität, werden von der Bevölkerung
auch sehr geschätzt, haben eine echte Perspektive auch als Arbeits- und Wohnort, Lebensort.
Wenn es uns gelingt, Infrastruktur zu ertüchtigen, auch Arbeitsplätze in der
Nähe zu halten und so weiter. Es sind keinesfalls nur die großen Städte, im Gegenteil.
Das ist verletzlich. Denken Sie an Moskau, denken Sie an Paris.
Innerhalb des Ringes alles okay, außerhalb die Banlieues, also hochverletzlich.
Und warum sollen wir immer nur die Big Seven, also die großen Immobilienstandorte
hier mit Wohnungen neu bedienen?
Wir müssen, und das muss dann auch ein Konsens in der Politik irgendwann mal
werden, vor allen Dingen polyzentral denken, weil nur in kleinen und Mittelstädten
ist wirklich ohne weiteres Teilhabe möglich, am besten im Bestand.
Der 8. November rückt da jetzt näher. Was wünschen Sie sich für den Tag der
Umbaukultur in diesem Jahr? Was ist alles geplant?
Ja, das ist ja diesmal ein Sonnabend und insofern könnte man ja fast denken,
das ist so wie der Tag der Architektur oder der Tag des Denkmals,
dass man ein konkretes Projekt anguckt.
So weit sind wir noch nicht, aber wir sind schon auf unterschiedlichen Veranstaltungen unterwegs.
Es wird spezielle Newsletter geben, die man sich zu dem Thema nochmal gerade
am Samstag vielleicht mit dem Samstagsfrühstück zusammen durchliest.
Erst wir selber, ich bin auf einem Innenarchitektur-Summit und dann werden wir
dieses Thema, Innenarchitektur ist sozusagen per se Umbaukultur,
nochmal sehr stark thematisieren.
Und wenn am Abend die Leute sagen, ach stimmt, man muss ja nicht immer alles
neu bauen und vielleicht ist es sogar einfacher und manchmal schöner und angemessener,
dem Bestand mehr Geltung zu verschaffen, dann bin ich natürlich froh, wenn dieser 8.11.
Wieder gut gelaufen ist und wir schon auf das nächste Jahr zu laufen.
Und richtig froh bin ich, wenn bei Wikipedia ein Eintrag steht,
der Tag der Umbaukultur ist der 8. November.
Ganz unabhängig davon, dass die in einer Bundesstiftung Baukultur oder andere
Initiativen ins Leben gerufen haben, es ist einfach eine sinnvolle Sache.
Wir sind ja nicht nur Lobbyisten, also Interessenvertreter für das gute Planen
und Bauen, sondern wir wollen natürlich auch Wirkung für die gebaute Umwelt erreichen.
Und da empfiehlt sich meines Erachtens immer der Blick aus dem Fenster,
werden die Dinge wirklich schrittweise besser.
Deshalb ist jetzt der Tag der Umbaukultur und dessen Etablierung nur auf einen
Schritt auf dem Weg zu besserer ästhetischer Architektur, die dann noch den
Umbau in den Mittelpunkt stellt und vielleicht sogar im Umbau eine neue Architektursprache
generiert, die uns gefällt.
Denn nicht nur in Deutschland, auch in der Schweiz, teilweise in Skandinavien
oder Österreich beklagen viele Menschen inzwischen Klötzchenarchitektur,
das alles über die Baustoffherstellungen, aber auch über unsere technischen
Normen sehr ähnlich aussieht.
Und da hat natürlich der Umbau viel mehr Individualität zu bieten und das könnte
auch eine Lösung für gesellschaftliche Fragen sein.
Umbaukultur ist kein Sonderfall. Sie ist die neue Regel, oder sie könnte es
sein, wenn wir anfangen, anders zu rechnen, anders zu bewerten und anders zu erzählen.
Reiner Nagel hat uns heute gezeigt, wie viel Energie im Bestehenden steckt.
Graue Energie, goldene Energie und manchmal auch eine Prise Muffin-Logik.
Es geht um weniger Abrissroutine, mehr Zutrauen ins Bestehende,
weniger Klötzchen bauen, mehr Charakter und eine Baukultur, die ökologisch,
ökonomisch denkt und zugleich menschlich, sozial, konkret.
Am 8. November ist Tag der Umbaukultur. Vielleicht ein guter Moment, um sich umzuschauen.
Im eigenen Ort, im Quartier, im Kopf. Was steht alles schon da und wartet nur auf eine zweite Chance?
Das war eine weitere Folge von Architektourist, dem Podcast über Architektur,
Baukultur und die Geschichten hinter den Gebäuden.
Mehr zum Tag der Umbaukultur und zur Bundesstiftung Baukultur,
zum Baukulturbericht oder zur Studie Einfach Umbauen der TU München findest
Du wie immer in den Shownotes.
Wenn dir diese Folge gefallen hat, empfiehle sie gern weiter,
gib eine Bewertung bei Spotify oder Apple Podcasts ab und abonniere den Podcast,
um keine Episode zu verpassen.
Ich bin Alexandra Busch, danke dir fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge von Architektourist.
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