Architektourist

Der Podcast für Architektur, Bautechnik und Baukultur - von und mit Alexandra Busch.

#51 Bau.Pause – Was muss eine Fassade heute können?

Notizen vom 20. Deutschen Fassadentag in Stuttgart – über Klimahüllen, Rückbau und Zukunftsmut

26.09.2025 12 min

Zusammenfassung & Show Notes

In dieser Baupause nehme ich dich mit nach Stuttgart zum 20. Deutschen Fassadentag, ausgerichtet vom Fachverband für vorgehängte hinterlüftete Fassaden (FVHF) in Kooperation mit dem ILEK, dem Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren der Universität Stuttgart. Dort, wo der Geist von Frei Otto noch spürbar ist, ging es einen Tag lang um die Zukunft der Gebäudehülle – zwischen Forschung, Innovation und Realität.

Ich erzähle von adaptiven Hüllen, atmosphärischen Demos und überraschend konkreten Ideen: von textilen Fassaden, die Wasser speichern, von PV-Modulen in Fassadenfarben, von aktivierten Wänden, die heizen und kühlen, kurz: von all dem, was eine Fassade heute können muss. Und ich frage mich: Warum passiert trotzdem noch so wenig? Was bremst uns? Und wie kommen wir vom Prototyp zur Praxis? Diese Episode ist ein Nachklang zu einem dichten, inspirierenden Tag und ein Plädoyer dafür, den Mut zur Transformation zu fordern und zu fördern.

Einblicke in diese Episode:
  • Warum die Zukunft der Fassade technisch und auch atmosphärisch gedacht werden muss
  • Wie HydroSkin, BIPV und CEPA-Systeme das Potenzial der Gebäudehülle neu definieren
  • Wieso Forschung alleine nicht reicht und was es für den Sprung in die Praxis braucht
  • Wie der FVHF Transformation aktiv begleitet, jenseits klassischer Branchenlogik

Der Podcast:
Architektourist bietet eine Hörreise durch unsere gebaute Umwelt. In jeder Episode nehmen wir Euch mit in die Welt der Architektur und Baustoffe, erkunden kreative Anwendungen und tauchen ein in die Geschichten hinter den Bauprojekten – von der ersten Skizze bis zur fertigen Umsetzung.

Seid bei der nächsten Folge wieder dabei, wenn wir weitere spannende Projekte und Persönlichkeiten aus der Welt des Bauens vorstellen. Wenn Euch die Episode gefallen hat, abonniert Architektourist bei Eurem bevorzugten Podcast-Anbieter.

Ihr habt Fragen oder Vorschläge? Wir freuen uns auf Eure Nachrichten unter kontakt@architektourist.de.

Transkript

Nur mal laut gedacht. Willkommen zur Baupause, dem kurzen Gedankenstopp mit Architektourist. Ein paar Minuten für Baukultur, Alltagsbeobachtungen und spontane Überlegungen. Irgendwo zwischen Kaffeetasse, Skizzenrolle und Türrahmen. Manchmal frage ich mich, warum mache ich das eigentlich? Warum nehme ich mir einen ganzen Tag Zeit, fahre quer durchs Land, lasse Mails liegen, schiebe Podcastproduktionen, um auf einer Veranstaltung wie dem Fassadentag zu sitzen? Ich frage mich das jedes Mal, wenn ich am Bahnhof stehe, im Auto im Stau sitze oder mir in einer fremden Stadt den Weg zum Veranstaltungsort suche. Aber kaum sitze ich im Raum mit diesem typisch konzentrierten Publikum aus Planung, Forschung, Industrie und Verband ist es klar. Genau deshalb, weil es mir gut tut, mich rauszunehmen, um mich einzulassen auf neue Themen, Perspektiven, auf Fragen, die ich mir im Alltag nicht stelle und auf Menschen, die sich Gedanken machen, die Wirkung haben werden, früher oder später. In Stuttgart war das der Fall. Ich war beim 20. Deutschen Fassadentag, ausgerichtet vom Fachverband für vorgehängte hinterlüftete Fassaden, kurz FVHF, in Kooperation mit dem ILEK, dem Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren der Uni Stuttgart. Und das hatte genau die richtige Mischung. Vision, Praxis, Wissenschaft, Austausch. Und ja, auch eine Portion Frustration, aber der Reihe nach. Schon der Veranstaltungsort selbst ist ein Statement. Das ILEK an der Uni Stuttgart. Ein Gebäude, das seine eigene Geschichte erzählt. Ursprünglich ein Prototyp für die Expo 1967 in Montreal, entworfen von Frei Otto, dem Pionier des Leichtbaus und der experimentellen Architektur. Ein filigranes Zelt aus Glas und Seilen, das bis heute als Labor für Innovation dient. Hier zu sein, ist wie in einem Archiv der Zukunft zu sein. Leicht, offen, experimentell. Los ging der Tag mit einer Führung durch das Demonstratorhochhaus D1244. Wer möchte, kann es ein Forschungshochhaus nennen. Wer sich einlässt, erkennt darin eine Art Zeitmaschine. Hier werden adaptive Fassaden, Hydroskin-Textilien, Sensorik und modulare Systeme erforscht und vor allem ausprobiert. Im echten Klima, mit echten Daten. Das Gebäude ist Ausdruck eines Gedankens. Gebäudehüllen der Zukunft müssen mehr leisten. Sie müssen sich anpassen, Energie sparen, Wasser managen, Komfort bieten, Ressourcen schonen. Und sie müssen schön sein. In seiner Eröffnungsrede hat Professor Lucio Blandini, Institutsleiter des ILEK, genau das betont. Technik und Effizienz allein reichen nicht. Es geht um Gestaltung, Atmosphäre, um das Zusammenwirken von Architektur und Ingenieurwesen. Blandini ist Architekt und Bauingenieur. Er spricht über die Fassade als zweite Haut des Gebäudes, als Schnittstelle zwischen innen und außen, als energetisches System, als gestalterisches Moment. Er betont, dass die Transformation des Bauens nur gelingt, wenn alle zusammenarbeiten, Forschung, Planung, Industrie. Deshalb braucht es interdisziplinäres Denken von Anfang an. Sein Appell, wir müssen die Kräfte zusammenbringen. Was muss eine Fassade heute also können? Sie muss Energie erzeugen, sie muss Wasser speichern und zurückgeben, sie muss atmen, kommunizieren, schützen, filtern, reflektieren, inspirieren. Kurz, sie muss mitdenken. Klingt utopisch? Nicht, wenn man die Vorträge des Veranstaltungstags verfolgt hat. Professorin Christina Eisenbarth von der TU Darmstadt hat das Forschungsprojekt Hydroskin vorgestellt. Ein textiles Fassadenelement, das Regenwasser speichert und über hydrophile Oberflächen zur Kühlung des Stadtraums nutzt. Verdunstung statt Versiegelung. Ihre Makroaufnahme der Textilien erinnerte mich an ein Spinnennetz im Herbst mit glitzernden Wassertropfen, poetisch und technisch zugleich. Das System ist leicht, nachrüstbar, vorgehängt. Es klingt simpel und doch steckt ein Jahrzehnt Forschung dahinter. Mitten im Vortrag dachte ich, wie viele dieser Prototypen liegen eigentlich in den Schubladen deutscher Forschungseinrichtungen? Warum bekommen wir sie nicht auf die Straße? Die Antwort kam später mehrfach. Zulassungen, Normen, Brandschutz, Sorgen, all das ist wichtig. aber wenn wir Wandel wollen, müssen wir auch Wege finden, neue Systeme in die Praxis zu bringen. Der FVHF unterstützt dabei, das wurde mehrfach betont, mit Planungshilfen, Kommunikation, Netzwerken. Aber letztlich braucht es auch Bauherren, die sich trauen, Kommunen, die vorangehen, Hersteller, die mitziehen und Planerinnen und Planer, die über die Norm hinausschauen. Dr. Federico Giovanetti vom Institut für Solarenergieforschung hat ein weiteres System vorgestellt. Sein Thema, die Fassade als Wärmequelle für Wärmepumpen, also Energie aus der Gebäudehülle. Die Technik ist komplex, aber seine Pilotanlage in Pforzheim zeigt, es funktioniert. Vorteil, die Fassade liefert konstante Wärme unabhängig vom Bauuntergrund. Nachteil, aufwendige Planung, viele Schnittstellen. Aber spannend ist das allemal. Und auch hier, der FVHF begleitet das Projekt seit Jahren. Er stellt Planungsrichtlinien, es geht also voran. Aber auch hier stellt sich die Frage, wann wird aus dem Pilot ein Standard? Fassadenbegrünung war natürlich auch Thema. Felix Mollenhauer vom Bundesverband Gebäudegrün zählte sachlich die Vorteile auf. Kühlung, Biodiversität, Luftreinhaltung, Lebensqualität. Alles richtig. Und da frage ich mich, warum klingt das immer noch wie ein Pflichtvortrag? Warum gelingt es nicht, dieses Thema emotionaler zu vermitteln? Wer einmal an einer gut durchgrünten Wand entlanggegangen ist, weiß doch, wie wohltuend das sein kann. Aber solange es als nice to have gilt, wird es nicht flächendeckend geplant. Wo bleiben die Bilder, die Geschichten, die Sehnsucht nach Grün? Mirko Hähnel vom TTZ Bremerhaven stellte ein System vor, das Wasser vom Dach in die Fassade leitet. Dort wird es gespeichert und verdunstet. In Berlin, wo Regenwasser nicht mehr eingeleitet werden darf, ist das ein echter Fortschritt. Die Prototypen haben viele Anläufe gebraucht. Jetzt funktioniert es. Der nächste Schritt, begrünen, PV integrieren. Die Fassade wird zum Multitalent. Energie, Wasser, Kühlung, Gestaltung. Alles in einem. Ein modulares System für die Stadt der Zukunft. Ich war beeindruckt und fragte mich zugleich, wann sehen wir das in der Öffentlichkeitsarbeit einer Stadtverwaltung? Apropos PV. Fabian Flade von der Allianz Bauwerkintegrierte Photovoltaik hat gezeigt, wie viel sich getan hat. Gebäudeintegrierte Photovoltaik bietet heute viel mehr als nur schwarze und blaue Varianten. Es gibt strukturierte Oberflächen, Farbvarianten, sogar weiße Module. Er zeigt Projekte aus aller Welt, die PV gestalterisch einsetzen, die PV bewusst betonen und inszenieren. Und die wirtschaftlich sind. Sein Appell, wir brauchen mehr skalierbare Projekte und müssen über einzelne Leuchttürme hinausgehen. Und die öffentliche Hand muss vorangehen, Beispiel geben, Bestand sanieren. Denn jede Fassade, die Energie erzeugt, ist ein Gewinn. Zum Schluss des Veranstaltungstages Thomas Buchsteiner mit seinem CEPA-System. Eine Art Fassadensanierung, ohne dass die Menschen aus ihren Wohnungen ausziehen müssen. Die Komponenten dämmen, heizen, kühlen und speichern Energie. Alles außen vorgehängt, minimalinvasiv. Klingt fast zu gut, um wahr zu sein, ist aber real und geprüft und im Einsatz. Buchsteiner versteht sich als Vermittler. Auch das ist eine Rolle, die wir in der Transformation brauchen. Brückenbauer. Aber auch hier Zulassungen dauern, Brandschutz ist aufwendig. Dennoch, er glaubt an serielle Sanierung als Hebel. als pragmatische Antwort auf die Massenaufgabe bestand. Und dann keine politische Diskussion zum Abschluss des Tages, wie eigentlich geplant. Weil die eingeladenen Politikerinnen und Politiker nicht kamen. Das war schade. Denn gerade hier an diesem Ort der Forschung und Praxis hätte der Austausch zwischen Fachwelt und Politik Sinn gemacht. Denn wir brauchen genau das, Dialog, Mut, Aushandlung. Es geht nicht um weniger Sicherheit, das wäre fatal, aber um einfachere Wege, um neue Systeme zu erproben. Wie beim Ansatz einfaches Bauen, mehr Spielräume, mehr Ausprobieren, mehr kollektiven Zukunftsmut. Aber vielleicht ist das auch eine Lehre. Wir müssen lauter werden, nicht schriller, aber deutlicher. Was nehme ich also mit vom Tag? Dass es gut war, da gewesen zu sein. Ich sehe, wir haben so viele gute Ideen, so viele Pilotprojekte, so viele Systeme, die zeigen, was geht. Aber ich frage mich auch, wie bekommen wir das flächendeckend auf die Straße? Wie schaffen wir die Zulassungen? Wie bauen wir Vertrauen auf? Wie nehmen wir Bauherren, planende Kommunen mit? Ich glaube, wir brauchen weniger Seriennummern und mehr Signatur. Weniger Einheitsfassade, mehr kluge Vielfalt. Und wir brauchen Verbände wie den FHF, die das sichtbar machen. Und jetzt? Jetzt trinke ich den letzten Schluck Kaffee. Und denke, eine gute Fassade verbindet heute Ästhetik mit Funktion. Sie wird zum Teil der Energie- und Klimastrategie. Und sie sehen dabei auch noch schön aus. Sie sind vielleicht nicht die Lösung für alles, aber ein wichtiger Baustein, wenn wir sie ernst nehmen. Und das gilt auch für solche Veranstaltungen. Sie kosten Zeit, klar, aber sie geben auch viel zurück. Ideen, Gespräche, Impulse. Und die Erkenntnis, Transformation ist Teamarbeit. Die Links zu den einzelnen Vortragenden und Vortragsthemen und zum 20. Deutschen Fassadentag findest du wie immer in den Shownotes. Danke, dass du heute dabei warst und bis zur nächsten Baupause.

Feedback geben

Ihr habt Lob, Kritik, Fragen oder Ideen rund um den Podcast? Oder Ihr möchtet über den Inhalt einer bestimmten Episode diskutieren? Dann wählt im Formular die jeweilige Folge aus und schreibt mir gerne eine Nachricht. Ich freue mich auf Euer Feedback! 

Mit einem Klick auf "Nachricht absenden" erklärst Du Dich damit einverstanden, dass wir Deine Daten zum Zwecke der Beantwortung Deiner Anfrage verarbeiten dürfen. Die Verarbeitung und der Versand Deiner Anfrage an uns erfolgt über den Server unseres Podcast-Hosters LetsCast.fm. Eine Weitergabe an Dritte findet nicht statt. Hier kannst Du die Datenschutzerklärung & Widerrufshinweise einsehen.

★★★★★

Gefällt Dir die Show?
Bewerte sie jetzt auf Apple Podcasts